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Halbzeit und weiter

Impulse findet man an den absurdesten Stellen. Das ist auch nötig, mitten im November, mitten auf der Strecke zum Ziel: ein Romanentwurf von mindestens 50.000 Wörtern in den 30 Novembertagen. NaNoWriMo eben, mal wieder. Ich schicke dieses Jahr eine Schauspielerin ins Rennen, die bis vor kurzer Zeit in Theater, Film und Fernsehen gespielt hat, jetzt im Rollstuhl sitzt und es nicht aushält, nur noch zu konsumieren. Sie entschließt sich, eine Geschichte zu schreiben, einfach um etwas zu tun. Sie stellt sich gleich am Anfang als "unzuverlässige Erzählerin" vor. Sie benutzt einen echten Impuls - sagt sie. Aber kann man ihr glauben? Sie überlegt, wie sie anfangen soll. Aus dem Text:

 

Ein Konglomerat bildet sich da, ballt sich zusammen, ein Wust aus Eindrücken, Ideen, Wortfetzen, Farben, Gerüchen, Bildern: Ich sehe Kacheln, von der Sonne beschienen, die leuchten in Primärfarben, Rot, Blau, Gelb, darauf schwarze filigrane Gittermuster, sie muten marokkanisch an, warum sehe ich ausgerechnet die, was soll ich damit anfangen? Wem ordne ich südliche Kacheln zu, nordafrikanisches Flair? Die drei Freundinnen, über die ich schreiben will, sind deutsch beheimatet, sie sind nach Dänemark gereist, ihr gemeinsamer dänischer Sommer legt Himmel nahe, viel Himmel, viel, viel mehr als hier, der Himmel überall gegenwärtig dort, und Wasser, das Meer, immer so nah, blau und türkis, in Streifen Dunkelgrün hineingewoben, Schiefergrau. Ich sehe dänische Felder, goldgelben Weizen unter der nördlichen und trotzdem überraschend starken Sonne, das sehe ich, diese Bilder, Erinnerungen aus eigener Erfahrung, die passen zu meiner Geschichte, die in Deutschland und zum Teil auch ein bisschen in Dänemark spielen wird. Aber ich habe noch so viel mehr im Kopf, Bilder, Töne, die nicht dazugehören. Scheinbar nicht. Denn flirrendes Licht zwischen Bäumen, Reflexe auf dem Wasser und Nebelschleier zwischen Bergen, das alles kann Teil meiner Geschichte werden. Ich höre Geräusche, Plätschern, Rascheln, wie trockenes Laub im Herbst, eine Tür schlägt zu, eine Glocke tönt, sie hallt wider in meinem Kopf, in meinem Inneren, sie bringt mich in Aufruhr. Genau die Art von Aufruhr, die mich überhaupt zum Schreiben angeregt hat: die Frau, namenlos noch, die auf die Seeterrasse stürmte. Sie nahm mich gefangen, ich hörte auf, mein Buch zu lesen, ich schaute auch nicht mehr nach dem Lichtgeflimmer zwischen den Schatten, die Platanenblätter auf gelbe Sonnenschirme und die Holzplanken warfen, hörte nicht mehr auf die Geräusche an den Nebentischen von Löffeln, die Zucker in Kaffee rührten, die sich am Eisbecherrand stießen, gläsern und porzellanig metallenes Klirren, dazu das allgemeine Gemurmel, das „Rhabarber“ der Zufriedenheit nach dem Mittagessen, mediterrane Fisch- und Pastagerichte, auf großen Tellern genau die richtige Menge aufgetischt, Rhabarberrhabarber, lecker, oh, ich bin satt, ich auch, Rhabarberrhabarber … es geht alles ins Rhabarber ein. Manchmal Kinderstimmen, die herausstechen, Ausschlag nach oben auf der Skala, schriller, ich will aber noch!, darauf beruhigende oder genervte Antworten, aber Suse, du hast doch schon, nein, Kevin, das isst du jetzt auf! Und wieder Rhabarberrhabarber und Sonne, schläfrig machende Wärme, ein Dunst von Sattheit und Zustimmung. Gemeinschaft von Fremden in mittagsgemütlicher fröhlicher Ruhe, wenn es so etwas gibt. Und da hinein – Britt. Ich nenne sie Britt. Der Anfang meiner Geschichte. Britt, über die ich dann auch von den anderen erfuhr, später. Liliane – Lili. Und die spannende Ada. Womit fange ich an? Ich sehe Ada in Taubenblau, in erdigen Tönen. Lili das Gegenteil, pink, rot, orange, auch türkis. Und Muster, mal wild, mal verspielt. Die marokkanischen Kacheln, die ordne ich ihr zu. Die Freude an Farbe, an Ausdruck. Lili ist lebhaft und laut. Ada hält sich zurück, nicht vornehm, nur einfach. Sie braucht keine Aufmerksamkeit, sie kann ganz für sich genießen. Die Natureindrücke, das Blätterrascheln, das alles gehört Ada. Wie der Wind ihr am Strand in den Ohren saust, Wind, der ihr die dunklen Haare ins Gesicht bläst. Ada natürlich und Lili ein bisschen verrückt. Und Britt, die Vermittlerin. Damit fange ich an.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Heike (Donnerstag, 15 November 2018 09:15)

    Ja, ich sehe das alles vor mir, nehme das Farbenspiel, Gerüche und Geräusche wahr, bin dabei in meiner Heimat im Norden und in den Urlauben meiner Kindheit - weiter so, Heide! du hast es einfach drauf... Gutes Gelingen und noch viele, viele Wörter..
    Ich bin froh, wenn ich überhaupt auf die geforderten 50.000 komme - ciao, ciao Heike

  • #2

    Heide (Donnerstag, 15 November 2018 10:00)

    Danke, Heike. Jede schreibt auf ihre Art, und ich freue mich, dass wir uns da gegenseitig unterstützen können. Dir auch viele Wörter und Anregungen.