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Mit der Gedankenbewahrerin unterwegs

Beim Schreiben-on-Tour gestern fiel mir die "Gedankenbewahrerin" ein, eine Frau, die immer die mehr oder weniger tiefsinnigen Sentenzen ihres Mannes aufschreibt. Aus meinem Text:

So führte sie nun seit vielen Jahren sein Tagebuch, stellte sie sein philosophisches Wörterbuch zusammen.

„Rost!“, sagte Albert. „Rost ist der Aggregatzustand des Alters. Nicht mehr so fest wie früher, sondern brüchig, bröckelig. Er löst sich auf, er rieselt. Wird verschwinden.

Aber vorher“, sagte Albert und zeigte auf den alten Güterwaggon, „vorher welkt er vor sich hin, auf dem Abstellgleis, in aller Schönheit.

Oder?“, fragte Albert laut. Natürlich guckten alle zu ihm her, natürlich auch die Rambach, mit gespitztem Mund, gerümpfter Nase, wie Margarethe aus dem Augenwinkel sah. Doch Albert störte das nicht. „Oder?“, wiederholte er noch lauter. „Sie, junger Mann, Sie fotografieren die Schönheit des Alters?“ Der angesprochene junge Mann auf demselben Bahnsteig machte noch ein Bild vom Güterwaggon auf dem Gleis nebenan, drehte sich um, richtete die Kamera auf die Seniorengruppe und drückte auf den Auslöser. Dann machte er eine knappe Verbeugung und ging. 

Rost oder: Alter schützt vor Schönheit nicht - das könnte auch Albert gesagt haben, siehe oben
Rost oder: Alter schützt vor Schönheit nicht - das könnte auch Albert gesagt haben, siehe oben

Albert dozierte noch über andere Themen, zum Beispiel Bäume.

Kommentare: 6 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Lenore (Sonntag, 20 März 2016 11:42)

    Gratulation zu den herrlichen Rostbildern und dem nachdenklich stimmenden Text. Kommt mir in diesem Tagen sehr gelegen - Vergänglichkeit drängelt sich auch im Frühling immer wieder durch

  • #2

    Heide (Sonntag, 20 März 2016 13:09)

    Ja, am Westbahnhof kann man so richtig rostig schwelgen ;-))

  • #3

    Jutta (Montag, 21 März 2016 10:04)


    Wunderbare Fotos :)! - Schönheit des Verfalls???
    Dein bereits gehörter Satz "Rost ist der Aggregatzustand des Alters...", gefällt mir auch beim Lesen wieder bestens.
    Und tröstlich - da ist noch so viel Farbigkeit, nichts Grelles in deinen Bildern.

  • #4

    Heide (Montag, 21 März 2016 10:36)

    Ich finde ja, der Rost produziert so was wie moderne Kunst. Und was hatte mein Albert (s.o.) aus der Geschichte zum Thema Kunst zu sagen? "Moderne Kunst verlangt dem Betrachter mehr ab als dem Maler." Seine Frau Margarethe fand das mal wieder genial.

  • #5

    Lydia (Montag, 21 März 2016 21:01)

    Liebe Heide, erst heute entdecke ich Deine wunderbaren Fotos und Deinen berührenden Text, - und höre Deine Stimme dazu, wie Du ihn am Do. vorgelesen hast.... DANKE und liebe Grüße, Deine Lydia

  • #6

    Heide (Dienstag, 22 März 2016 15:48)

    Danke auch umgekehrt. Das macht ja gerade das Schreiben-on-Tour so spannend, dass wir uns hinterher austauschen, dass wir Eindrücke, Erlebnisse, Einfälle teilen können.